Loslassen

Ich müsste ganz dringend mal loslassen.

Meine Vergangenheit, meine Gedanken, Gefühle, meine Kontrollsucht, meine Panik.

Ich weiss nicht wie.

Kürzlich sagte jemand zu mir:

„Wenn Du Dich jemandem vorstellst, sagst Du eigentlich hallo, bitte hasse mich nicht“

Und er lag nicht ganz falsch.

Eigentlich mein ganzes Leben lang habe ich immer um Anerkennung gekämpft. Ich war zwar das einzige zumindest halb geplante / gewollte Kind meiner Eltern, aber dafür bekam ich später vom zweiten Mann meiner Mutter die doppelte Ablehnung. Meine Kindheit und Jugend war begleitet von Erniedrigungen, gerne auch vor anderen, aussenstehenden. Ich sei ein Nichtsnutz, wertlos, dumm, unfähig zu leben. Hässlich, fett, faul, ein Parasit. Gebt mir ein Wort, ich bin sicher, ich habe es schon gehört. Meine Mutter schaute dem ganzen hilflos zu – natürlich hieß sie es nicht gut, aber was sich in meine Erinnerung gebrannt hat war, wie sie mich weinend zurück gelassen hat, nach solch einem Streit, um ihren Mann zu suchen, der aus der Wohnung gestürmt ist. Ich war also nicht nur zu dumm für ihn, ich war es auch ihr nicht wert. So fühlte es sich an.

Ich bin jetzt erwachsen, hatte jahrelang Therapie, und ich weiss genug über Psychologie, um das Verhalten beider logisch erklären zu können. Das alleine reicht aber leider nicht, um die Wunden zu heilen.

Immer wieder komme ich in Situationen, wo ich nichts anderes will, als Anerkennung. Dazu gehören. Und immer wieder werde ich abgelehnt. Manchmal hat es gar nichts mit mir persönlich zu tun. Da ist dieser Jähzornige Kollege, zum Beispiel, der sich durch mein Wissen und meine Erfahrung bedroht fühlt. Er erfreut sich daran, jeden kleinsten Fehler meinerseits bis ins äußerste auszuführen, bevorzugt durch laute Aggressivität. Sofort kommt das innere Kind hoch, das sich ungeliebt und alleine fühlt, und mehrmals schon endete es mit einem heulenden Häufchen Elend in der Büro Toilette – weil ich es viel zu persönlich nehme.

Oft lasse ich mir viel zu viel gefallen von Menschen, oder bin viel zu nett und tu viel zu viel für sie. Ich missachte meine eigenen Bedürfnisse um den anderen etwas gutes zu tun, in der Hoffnung, etwas Anerkennung und Liebe zurück zu bekommen.

Ich weiss das alles, theoretisch. Praktisch fällt es mir aber unglaublich schwer, etwas zu ändern.

Meine Männerwahl war, logischerweise, nicht die allerbeste. Wie auch, das einzige, was ich gelernt habe, war, dass Liebe und Zuneigung durch Erniedrigung gezeigt wird.

Besonders mein letzter Partner, bevor ich nach Irland zog, hatte das Spiel perfektioniert: er schaffte es immer wieder durch Manipulation und geschicktem triggern mir das Gefühl zu geben, dass ich ihn brauche, dass ich ohne ihn nichts bin und dass er es nur gut meint mit mir. Gleichzeitig tat er alles Menschenmögliche, um mich zu demütigen und erniedrigen. Verbal und mit seinem Verhalten. Eigentlich brauchte er mich, nicht andersrum. Er brauchte dieses Machtspiel, und er brauchte meine Hilfe, finanziell, und weil er kein Deutsch sprach.

Natürlich ist mir das mittlerweile bewusst. Die Wunden, die er hinterlassen hat, heilt dieses Wissen aber nicht.

Jetzt habe ich den wundervollsten Mann den ich je getroffen habe an meiner Seite. Nicht perfekt, aber perfekt für mich. Und ich will ihn behalten, am liebsten für immer. Und meine Vergangenheit macht es mir so unglaublich schwer.

Wenn er mal seine Ruhe will, weil er Stress hat, krank ist, oder warum auch immer, kann ich nicht einfach drauf vertrauen, dass es nichts mit mir zu tun hat. Ich vermute sofort das schlimmste – er will mich nicht mehr. Und dann dreht sich die Gedankenspirale und wird immer schneller, immer schneller. Wenn ich ihn bitte, mich nach der Arbeit anzurufen, und er antwortet nur kurz und knapp dass er sich später meldet, dann denke ich sofort an meinen Ex, bei dem das bedeutet hätte, dass er gerade fremdgeht.

Ich vertraue meinem Freund. Aber ich vertraue mir selbst nicht. Immer wieder rutsche ich in dieses Loch, in dem ich das wertlose, dumme, hässliche kleine Kind bin, das nicht liebenswert ist. Und dann bekomme ich Panik und mir fallen lauter Dinge ein, die ich tun könnte, kleine Gesten, aber auch größere Gefallen, alles, Hauptsache ich werde positiv wahrgenommen. Manchmal, nicht selten, tu ich zu viel. Oder biete zu viel Hilfe an. Das schlägt dann ins Gegenteil um: meine Hilfe wird abgelehnt und ich fühle mich wieder zurückgewiesen.

Ich versuche zwanghaft, alles unter Kontrolle zu haben- mich, meine Gefühle, mein Verhalten, meine Beziehung, so sehr, dass es zu viel ist. Zu viel für die Beziehung, zu viel für mich.

Aber ich kann nicht los lassen. Es ist wie mit super spezial Sekundenkleber festgeklebt, dazu noch mit Schrauben, Nägeln und Tackern an mich geheftet.

Dieses Wochenende habe ich mich dazu gezwungen, nicht unter einem Vorwand in die Stadt zu fahren, wo mein Freund arbeitet, nur um ihn kurz zu sehen, vielleicht auch etwas länger, und mir meine tägliche Dosis „alles ist gut“ zu holen. Das bedeutet, dass ich ihn mindestens 6 Tage lang nicht sehe. Für mich eine riesen Herausforderung, denn er ist nicht der große SMS Schreiber, und das regt meine Gedankenspirale gerne mal an. Aber ich hatte das Gefühl, wir brauchen das – beide.

Jetzt ist gerade mal der erste Tag vorbei und ich sitze heulend im Bett. Eigentlich grundlos. Es ist ja nicht so, dass er sich gar nicht meldet bei mir. Aber die Tatsache, dass ich keine Kontrolle darüber habe, wann er sich meldet, was er tut und wie er sich meldet… Die Panik, er könnte was besseres finden als mich. Wie abgefuckt kann ein Hirn bitte sein??

Ich kann mich selbst nicht leiden, wie soll mich da jemand anderes leiden können!

18 Gedanken zu “Loslassen

  1. autistanbord schreibt:

    Fühl dich mal gedrückt. Sonst kann ich dir auf die Entfernung leider nicht so viel anbieten außer dass ich noch ca. eine Stunde wach bin, falls du dich zur Ablenkung unterhalten möchtest. (Weißt ja, wie du mich erreichst)

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  2. Luisa schreibt:

    *umarm*
    Hast du schon mal von Psych-K gehört? Das hat mir einmal in einer ähnlichen Situation sehr geholfen in nur einer Anwendung.
    Denk dran: Am Ende wird alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende. 🙂

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      • Luisa schreibt:

        Psych-K ist eine Methode, das Unterbewusstsein zu programmieren. Zum Beispiel in deinem Fall mit etwas ähnlichem wie „Ich bin wertvoll und verdiene das Beste“. Es ist eine Mischung aus Kinesiologie und Gesetz der Anziehung. Ich war ziemlich skeptisch aber ein guter Freund hatte ein Seminar davon besucht und dürfte es danach praktizieren, also hab ich es ausprobiert.
        Danach habe ich noch wirklich gefühlt als ob ich mir in meinem Ziel nicht mehr selbst im Weg stehe und es eigentlich schon erreicht habe.
        Ich hab bei meiner Google Recherche nicht viel Aussagekräftiges gefunden. Aber jetzt weiß ich, dass es für mich gut funktioniert hat. 🙂

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      • Lea schreibt:

        Ich hab grad mal gegoogelt und dabei sogar hier in der Nähe etwas gefunden…. da gibt es psych-k und andere ähnliche Sachen… mehreres davon klingt für mich sehr interessant, für mein Unterbewusstsein genauso wie für meinen chronisch kaputten fuss! Danke für den Tipp!

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  3. suzyintheflow schreibt:

    Hallo Lea, ich finde du hast es schon sehr weit gebracht, da du weisst wo der Schuh drückt und wie du eigentlich reagieren solltest. Dass das nicht immer gelingt, ist nur menschlich. Denke ja nicht, andere hätten keine Kämpfe mit sich auszufechten! Niemand ist perfekt und wir alle haben Schwächen. Leider kann ich dir keinen Zauberstab geben, aber glaube einfach daran, dass du liebenswert bist und versuche dich selber zu mögen und zu akzeptieren. Alles andere kommt von selbst, aber vielleicht nicht ganz so wie du es geplant hattest! Sei herzlich umarmt

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    • Lea schreibt:

      Danke liebe Suzy, ein Zauberstab wäre jetzt genau richtig… wenn ich zurück blicke auf vorherige Beziehungen und mein Leben im allgemeinen, sehe ich schon, wie weit ich es gebracht habe. Aber es ist trotzdem noch ein langer Weg den ich vor mir habe…

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      • suzyintheflow schreibt:

        Vielleicht, aber es ist der richtige Weg. Sei einfach nicht zu streng mit dir! Mir hilft es stets, mir vorzustellen, ich sei wie Bambus: Der beugt sich im Sturm bis auf den Boden und steht am nächsten Morgen wieder stramm und stolz da!

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      • suzyintheflow schreibt:

        Ausserdem: Du schreibst doch gern, schreb mal jeden Abend drei Dinge auf die du gut gemacht hast. Wie: heute herzhaft laut gelacht, Tshirt nicht gekauft, nur drei Mal nachgeguckt ob eine Mitteilung eingetroffen ist, meinen blöden Kollegen einfach stehen gelassen, auf Kritik hin gelächelt und mit den Schulern gezuckt, spontan eine fröhliche Bemerkung gemacht, ein Drittel meiner Mails abgearbeitet dann eine Kaffeepause gemacht und diesen allein genossen… Lobe dich für Erfole und mäkle nicht an dir herum! Viel Spass

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      • Lea schreibt:

        Manchmal mach ich das, aber meistens halte ich es nicht lange durch. Meine momentane Methode ist Filme schauen, oder noch besser Serien- in eine andere Welt abtauchen die mich davon abhält über mein eigenes Leben zu viel zu grübeln. Nicht so streng mit mir selbst sein ist schwer wenn es sich anfühlt als würde ich alles kaputt machen…

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      • suzyintheflow schreibt:

        😥 Na ha, aus der Hundeerziehung weiss ich, dass Positives verstärkt und bestätigt werden muss, Schlechtes aber ignoriert. Das macht aus unsicheren Hunde Selbstsichere. Das funktioniert auch bei Menschen. Wir Menschen fokussieren stets auf falsch Laufendes, Negatives, Unangnehmes, und ich bin überzeugt, das ist ein großer Irrtum und verunsichert uns nur noch mehr!

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  4. al schreibt:

    Hallo Liebes! Ich finde, du bist sehr, sehr liebenswert, auch wenn wir uns „nur“ über den digitalen Weg hier kennen ❤️
    Ich kann mich den vorherigen Kommentaren nur anschließen: Du hast es unheimlich weit gebracht! An sich arbeiten, auswandern, ein neues Leben in einem neuen Land beginnen – das zeugt von großer Stärke. Du bleibst nicht stehen, du entwickelst dich jeden Tag so viel weiter, auch, wenn du es selbst vielleicht nicht so wahrnimmst!
    Das Vertrauen in deinen Partner wird kommen – es wächst jeden Tag! Vertrauen ist nicht einfach über Nacht da. Das braucht Zeit 😘 Vielleicht weiß dein Partner, wie es dir in bestimmten Situationen geht und du Panik hast und vielleicht kannst du ihn bitten, dir dabei zu helfen, diese Situationen zu meistern (was auch immer am besten für euch funktioniert). Mir hat es am Anfang in unserer Beziehung zudem sehr geholfen, dass ich mir selber Dinge gesucht habe, die ich mache, wenn mein Partner nicht bei mir war (z. B. Touri-Sightseeing Tour in der Stadt, in der ich schon 4 Jahre gelebt habe). Das hat mich vom Grübeln und dem Gedankenkarusell abgelenkt.

    Du bist eine starke, unabhängige Frau! 😘
    Ich umarme dich ❤️

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    • Lea schreibt:

      Danke für deinen lieben Kommentar ❤ mein Freund hat seine eigenen Problemchen und kann nur bedingt auf meine eingehen… wir reden zwar viel drüber und sind beide irgendwie auch bemüht, aber… naja. Ich denke, wir haben uns kennen gelernt um voneinander zu lernen. Das nicht beisammen sein ist auch gar nicht so das Problem- aber ich kann ja nicht erwarten dass er mir permanent und pausenlos SMS schreibt…aber ich glaube das ist das einzige was mein Gemüt beruhigen würde in solchen Situationen. Hach ja – manchmal is das Leben halt ein arschloch 🤷🏻‍♀️

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